13.5.07

Tacitus

Jetzt habe ich den Tacitus endlich selber gelesen. Ich fand eine Downloadseite und habe ihn mir ausgedruckt. Der Text ist nur rund zwölf DIN A-4 Seiten lang aber sehr lesenswert, für mich zurzeit zweifelsohne. Außer den Informationen, die ich in der Sekundärliteratur schon gefunden hatte, entdeckte ich auch mancherlei Neues.

Vor einiger Zeit notierte ich, dass die Beschreibung der frühen Germanen mich sehr an die Berichte über die Amerikanischen Natives erinnerte. Bei Tacitus fand ich noch mehr dazu. Er schreibt: „Ihre Ungebundenheit hat eine üble Folge: sie finden sich nie gleichzeitig und nicht wie auf Befehl zur Versammlung ein; vielmehr gehen über dem Säumen der Eintreffenden zwei oder drei Tage verloren. Sobald es der Menge beliebt, nimmt man Platz,…“ Ähnliches las ich mal über das Zeitverständnis der Indianer. Es wurde von Seiten der Weißen beklagt, dass die Eingeborenen Verhandlungspartner bei Zusammenkünften mit den Vertretern der Amerikanischen Regierung öfters erst einige Tage nach dem anberaumten Termin eintrafen. Dafür brachten sie dann aber alle Zeit der Welt mit und konnten so lange bleiben, bis die Verhandlungen zu einem Ende gekommen waren.

Dann las ich etwas über das Deuten des Vogelflugs (wie bei den Etruskern!) und über das Pferdeorakel, welches als die sicherste Vorhersage galt. Die Pferde wurden vor heilige Wägen gespannt, und Priester und Stammesführer deuteten daraufhin ihr Wiehern und Schnauben. „… sich selbst halten sie nämlich nur für Diener der Götter, die Pferde hingegen für deren Vertraute.“

Noch ein interessantes Detail, das mir bisher gar nicht so bewusst gewesen war: „Allgemeine Tracht ist ein Umhang, mit einer Spange oder notfalls einem Dorn zusammengehalten. Im Übrigen sind sie unbekleidet; ganze Tage verbringen sie so am Herdfeuer.“ Und: „Die Frauen sind nicht anders gekleidet als die Männer nur hüllen sie sich öfters in Umhänge aus Leinen, die sie mit Purpurstreifen verzieren. Auch lassen sie den oberen Teil ihres Gewandes nicht in Ärmel auslaufen; Unter- und Oberarm sind nackt, doch auch der anschließende Teil der Brust bleibt frei.“ Brrr… wie kalt! Und das, obwohl er an anderer Stelle schreibt: „Gleich nach dem Schlafe, den sie häufig bis in den lichten Tag hinein ausdehnen, waschen sie sich, öfters warm, da bei ihnen die meiste Zeit Winter ist.“

Die häufig von modernen Autoren geäußerte Vermutung, Tacitus hätte mit seinem Bericht über die Germanen seinen dekadenten Landsleuten einen Sittenspiegel vorhalten wollen, fand ich im Allgemeinen nicht bestätigt. Das kann allerhöchstens für die Darstellung des rigiden Umgangs mit Sexualität und Partnerschaft gelten. Aber darüber weiß ich selber zu wenig, als dass ich das wirklich beurteilen könnte. Vielleicht waren die Germanen ja wirklich so, möglicherweise auch im gewollten Gegensatz zu der fruchtbaren und sinnenfrohen Kultur, die vor ihnen existierte und deren Götter die Wanen gewesen waren.

Spielsucht: „Das Würfelspiel betreiben sie seltsamerweise in voller Nüchternheit [im Gegensatz zum üblichen Gezeche bei ihren Zusammenkünften], ganz wie ein ernsthaftes Geschäft; ihre Leidenschaft im Gewinnen und Verlieren ist so hemmungslos, dass sie, wenn sie alles verspielt haben, mit dem äußersten und letzten Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen. Der Verlierer begibt sich willig in die Knechtschaft, mag er auch jünger, mag er kräftiger sein, er lässt sich binden und verkaufen. So groß ist ihr Starrsinn an verkehrter Stelle; sie selbst reden von Treue. Sklaven, die sie auf diese Art gewonnen haben, veräußern sie weiter, um auch sich selbst von der Peinlichkeit des Sieges zu befreien.“

Bauten die Germanen schon Fachwerkhäuser? „Nicht einmal Bruchsteine oder Ziegel sind bei ihnen im Gebrauch; zu allem verwenden sie unbehauenes Holz, ohne auf ein gefälliges oder freundliches Aussehen zu achten. Einige Flächen bestreichen sie recht sorgfältig mit einer so blendend weißen Erde, dass es wie Bemalung und farbiges Linienwerk aussieht.“

Hinweise auf matriarchale Relikte fand ich auch ein paar: „Die Söhne der Schwestern sind dem Oheim ebenso teuer wie ihrem Vater. Manche Stämme halten diese Blutsbande für heiliger noch und enger und geben ihnen den Vorzug,…“ Ebenso wie den Bericht über den Stamm der Astier (die Esten?), die an den östlichen Küsten der Ostsee siedelten: „Sie verehren die Mutter der Götter. Als Wahrzeichen ihres Kultes tragen sie Bilder von Ebern [Freya und Freyr lassen grüßen! Und schon in der jüngeren Steinzeit wurde die Erde in der Gestalt einer Schweinegöttin verehrt.]: die dienen als Waffe und Schutzwehr gegen jede Gefahr und gewähren dem Verehrer der Göttin selbst unter Feinden Sicherheit Selten werden Waffen aus Eisen verwendet, häufiger Knüttel. Getreide und andere Feldfrüchte ziehen die Astier mit größerer Geduld, als die übliche Trägheit der Germanen erwarten lässt.“ Lebten diese Menschen vielleicht noch überwiegend in dem alten Mutterrechtlichen System der Acker bauenden Großsteingräberleute?

Wie auch die „Fennen“ (Vorfahren der heutigen Finnen und/oder Samen?), von deren Stamm Tacitus nicht weiß, ob er ihn den Germanen zurechnen soll. Ihre Lebensweise beschreibt er als roh und dürftig. Auf mich wirkt sie eher wie eine nomadische Jäger- und Sammlerinnenkultur ohne feste Behausungen, Metallwaffen und Reitpferde.

26.4.07

Ragnarök

„Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang." (Golgowsky-Quartett, 1954)

Ragnarök oder die Götterdämmerung, wie es bei Richard Wagner heißt, ist das Ende der Welt nach der Auffassung des nordischen Götterglaubens. Die Vorstellung allein jagt mir immer einen kleinen Schauder über. Ich kann es nicht wirklich gedanklich erfassen, weil es im Grunde eine bloße Angstfantasie oder eine ins allgemeine übertragene Todesfurcht ist. Ich fand bei meiner Suche aber eine Webseite von der Liste aller mit Datum angekündigten Weltuntergänge. Danach hat es allein während meiner Lebenszeit schon fast Hundert davon gegeben. Das relativiert die Geschichte wieder auf sehr angenehme Weise.

Apokalyptische Prophezeiungen existieren bereits seit der frühen Antike. Es scheint ein Thema zu sein, das die Menschen immer schon beschäftigt hat. Heutzutage ist es für manche Sekten vielleicht auch ein gutes Geschäft, für die Medien allemal. Zahlreiche Spielfilme handeln davon: Dooms Day, Armaggeddon, Deep Impact, The Core sind nur einige, die mir spontan dazu einfallen, obwohl ich solche Endzeitfilme überhaupt nicht gern schaue, weil humorlose Machohelden mir ein Gräuel sind. Eine Ausnahme bildet da „Per Anhalter durch die Galaxis“, das auch mit dem Ende der Welt beginnt.

Weltuntergänge zu fürchten scheint schon zu den Zeiten der nomadisierenden Indoeuropäer gang und gäbe gewesen zu sein, darauf lassen die Berichte von den verschiedenen Völkern dieser Kultur schließen. Denn Vulkanausbrüche, Erdbeben, Eiszeiten, Dürreperioden, das Ansteigen des Meeresspiegels und die Einschläge von Meteoriten sind reale Bedrohungen für das Überleben. Und die Erinnerung an solche Ereignisse, sofern sie überlebt wurden, wird für viele Generationen lang gespeichert. Heute gesellen sich noch der nukleare Holocaust, Killerviren und andere Menschen gemachte Vernichtungsmöglichkeiten dazu. Der Suchbegriff „Weltuntergangsstimmung“ ergab bei google fast 38.000 Seiten!

Ragnarök, das „Schicksal der Götter“, beginnt mit dem Tod Balders und der Verurteilung Lokis deswegen. Ein extrem kalter und dunkler Winter setzt ein und dauert ohne Unterbrechung drei Jahre lang an. Die Himmelswölfe verschlingen Sonne und Mond, und die Sterne fallen vom Firmament, bringen die Gebirge zum Einsturz und lösen die Fesseln aller Ungeheuer und Feinde der Götter und Menschen. Aus dem unbekannten Süden, vom Feuerreich Muspellheim her, kommen Reiter, die die Welt in Brand setzen. Unter ihrem Gewicht bricht die Regenbogenbrücke Bifröst zusammen. In der Entscheidungsschlacht wird Odin vom Fenriswolf verschlungen, Thor und die Midgardschlange bringen einander um. Freyr wird vom Feuerriesen Surt erschlagen, Tyr und der Höllenhund Garm töten sich gegenseitig, ebenso wie Heimdall und Loki. Die ganze Welt brennt. Selbst Yggdrasil, die Weltenesche, steht in Flammen. Miteinander versinkt alles im Meer.

Doch aus den Fluten erhebt sich alsdann eine neue Erde, grün und wunderbar, auf der das Korn ganz von allein wächst. Die überlebenden Asen versammeln sich auf einem Hügel, und das einzige, im Schlaf gerettete Menschenpaar, Bruder und Schwester, werden die Ahnen eines neuen Menschengeschlechts.

Allerdings habe ich bei der ganzen Sache nichts über die Göttinnen gelesen, sie werden mit keinem Wort erwähnt. Was das wohl zu bedeuten hat?


Was ich mich außerdem immer gefragt habe: ist das nun schon passiert, oder kommt das noch? Darüber gibt es zwar eine Menge Theorien, aber so richtig zufrieden stellen tut mich keine davon. Es ist und bleibt eben eine Geschichte, so wie die vielen anderen, die die Menschen sich immer schon erzählt haben. Und dass die Frauen darin unterschlagen werden, kennen wir ja zur Genüge...

20.4.07

Nochmal Freya

Mir gefällt die Theorie, dass die Wanengöttin Freya, die möglicherweise später zu Wodans Ehefrau Freja (Frigg) wurde, ursprünglich die Große Göttin des Neolithikums war. Und dass sie mit ihrer Mutter Njörd, die bei Tacitus Nerthus genannt wird, und die bei den Germanen kurzerhand in einen männlichen Gott verwandelt wurde, eine Mutter-Tochter-Zweiheit bildet, ähnlich wie Demeter und Persephone in der griechischen Mythologie. Dazu passt auch, dass Freya ursprünglich als Jungfrau gedacht war. Der Begriff Jungfrau bedeutete in früheren Zeiten nämlich nicht unbedingt eine sexuell unerfahrene Frau, sondern eine Frau, die keinem Mann angehörte und selbstbestimmt lebte. Loki hat sie dafür auch in einer Schmährede vor allen anderen Göttern verurteilt. Manche glauben, dass ihr Bruder-Geliebter Freyr ursprünglich ihr kleiner Sohn war, ein ähnliches Bild wie das der heute immer noch auf diese Weise dargestellten christlichen Madonna. Später wurde Freyr (Fro, Fricco = Herr) als ein Vegetationsgott angesehen, ein Beherrscher des Wetters, der seltsamerweise weder in Asgard noch in Wanaheim zuhause war, sondern bei den Lichtelfen wohnte.

Auf jeden Fall ist Freya eine Naturgottheit, die fruchtbare Erde selber und eine Frühlingsgöttin. Was liegt da näher, als sie auch als Liebesgöttin anzurufen, wo doch Liebe und Fruchtbarkeit einstmals eng zusammengehörten. Sie besitzt ein Falkengewand und ein Schwanenkleid, mit denen sie sich in die entsprechenden Vögel verwandeln kann, was auf schamanische Wurzeln hindeutet. Zumal sie auch des Seid kundig ist, einer Nordischen Variante der schamanischen Trance, die Odin von ihr lernt. Zur Todesgöttin wird sie, wenn sie auf dem Schlachtfeld die Hälfte aller Gefallenen für sich auswählt (nur die im Krieg getöteten Frauen?) und in die Sitzhalle Sessrumir in ihrem Palast Folkwang bringt. Ich kann da geradezu die ganzen gemütlichen Sessel, Lehnstühle, Sofas, Couchen, Diwans, Kanapees, Polsterbänke, Ottomanen, Recamieren und Chaiselongues vor mir sehen – ein schöner Tod, wenn dann auch noch Getränke gereicht werden und leise Musik gespielt wird...

Auch ein Kampfschwein namens Hildiswini gehört zu Freyas Attributen und einer ihrer Ehrennamen war "Sau". Gefahren kam sie in einem Wagen, der von Katzen gezogen wurde. Berühmt und geheimnisvoll ist auch ihr prächtiger Halsschmuck Brisingamen, den nie ein Mensch sah und der von vier Zwergen geschmiedet wurde, mit denen sie angeblich als Bezahlung jeweils eine Liebesnacht verbringen musste. Das könnte nun jemand für üble Nachrede halten, aber warum auch eigentlich nicht? Die Moralvorstellung waren zu jenen Zeiten ganz sicherlich andere, und Sex galt einstmals als heilige Handlung. Andere wiederum meinen, der Halsschmuck sei aus Bernstein gewesen, dem Gold des Nordens. Brisingamen wird auch mit den Strahlen der Sonne in Verbindung gebracht, nannten die Germanen doch die Sonne ihre Goldene Jungfrau. Ebenso hat der Halsschmuck möglicherweise mit dem Regenbogen und der Brücke Bifröst zu tun. Allerdings gibt es unzählige Darstellungen von jungsteinzeitlichen Göttinnen, die sowohl als kleine Statuetten als auch in Form von Stelen und als Steinreliefs und in Höhlen gefunden worden sind, und die alle mit einer oft dreifachen Halskette geschmückt sind.

Sowohl unser Freitag wurde nach Freya benannt, als auch leitet sich das Wort Frau von ihrem Namen ab und bedeutet ursprünglich „die Freie“.









Freya, Silberbrosche aus Schweden, 6. Jahrh.

28.3.07

Nibelungen und Langobarden

Diana Paxsons Roman über „Die Töchter der Nibelungen“ liest sich gar nicht mal so schlecht, wenn eine Fantasy mag. Die Handlung ist spannend beschrieben, und die Charaktere sind vielschichtig, so wie Menschen halt sind. Die eindeutig ‚Bösen’ und die immer ‚Guten’, so wie sie in den meisten Büchern und Filmen dargestellt werden, finde ich schnell öde, und die Handlung wird vorhersehbar. Ich mag es, wenn die Figuren beides in sich tragen, wenn sie um Entscheidungen ringen müssen, wenn sie das Gute wollen und das Böse tun und umgekehrt. Und die ganze Geschichte ist so unausweichlich und schicksalsschwer wie eine antike griechische Tragödie.

Am Ende jedes Teiles der Trilogie gibt es einige Seiten mit dem geschichtlichen Hintergrund und den wichtigsten Quellen, die die Autorin benutzt hat. Jetzt ist mir endlich klar geworden, dass Wodan, der Wanderer zwischen den Welten, ein Gott der Völkerwanderung war, ein Gott für heimatlose, entwurzelte Menschen, die generationenlang um ihre Existenz und einen Platz zum Leben kämpfen mussten. Tacitus und vor ihm schon Cäsar erwähnten zwar schon früher einen germanischen Merkur, der von späteren Mythenforschern mit Wodan identifiziert wurde (siehe hier), aber Wodans eigentlicher Name taucht erst viel später auf, nämlich in den Merseburger Zaubersprüchen. Zu der Zeit war das Christentum schon lange Staatsreligion im Römischen Reich und wenig später schrieb Mohammed den Koran.

Ein gutes Beispiel für die Annahme des Wodansglaubens sind die Langobarden, die am Ende des 4.Jahrhunderts als Winiler aus ihrem Heimatgebiet an der mittleren Elbe aufbrachen, geführt von einer Priesterfürstin namens Gambara (Stabträgerin) und ihren beiden Söhnen. Sie wanderten in einem großen ostwärtigen Bogen nach Süden, und kamen am Anfang des 6. Jahrhunderts in Norditalien an, und zwar dort, wo heute die Lombardei mit ihrem Namen immer noch an diesen Stamm erinnert.

Dazu gibt es eine kleine Geschichte, die erzählt, dass am Abend vor einer Entscheidungsschlacht gegen die Wandalen diese Wodan um den Sieg baten. Dessen Bescheid lautete, dass diejenige Kriegspartei, die am Morgen als erste auf dem Schlachtfeld auftauchen würde, den Sieg erringen sollte. Doch die Winiler baten ihrerseits die Göttin Frea um den Sieg, und diese riet ihnen, dass die Frauen ihre Haare unter dem Kinn so zusammenbinden sollten, dass sie wie lange Bärte aussahen. Und genauso sollten sie gemeinsam mit ihren Männern frühmorgens aufmarschieren. Als Wodan sie dann am nächsten Morgen so sah, schenkte er ihnen den Sieg und angeblich den neuen Namen gleich dazu. So wurden aus den Winilern die Langobarden (Langbart ist aber auch einer der vielen Namen Wodans).

22.3.07

Tyr und Idun

Der Gott Tyr/Tiwaz, Tiu, Zio/Ziu, der Dritte im Bunde der männlichen Asengötter und eigentlich der älteste von allen, ist vielleicht auch identisch mit Saxnot, dem die Sachsen bei ihrem Taufgelöbnis abschwören mussten. "Ec forsacho diabole end allum diobolgelde end allem dioboles wercumend worum. Thunor ende Woden end Saxnote ende allen then unholdo the hiro genotas sint." (Ich widersage allen Werken und Worten des Teufels. Thor, Wodan und Saxnot und allen Dämonen, die ihre Begleiter sind. Sächsischer Originaltext, 9. Jahrhundert, zitiert nach Jacob Grimm.)

Tyr ist ein indoeuropäischer Name und direkt verwandt mit dem griechischen 'Zeus', dem lateinischen 'Deus' und einem indischen Himmelsgott namens 'Dyaus Pitar'.
Ursprünglich auch ein Himmelsgott, zuständig für Recht und Gerichtsbarkeit wurde er später als Kriegsgott zum Kumpel und Blutsbruder der nordischen Götter und sogar zu Wodans Sohn degradiert. Da machen die Menschen kurzen Prozess mit ihren Göttern, grad wie es ihnen in den Kram passt. Die Römer setzten ihn mit ihrem Mars gleich, weswegen auch unser Dienstag (Tuesday, frz. Mardi) nach ihm benannt ist.

Er war der einzige, der es wagte, dem Fenriswolf seine rechte Hand als Pfand in den Rachen zu legen, während dieser an eine unzerreißbare Kette gelegt wurde. Als der Wolf den Betrug erkannte, biss er ihm die Hand ab.

Dann war da noch die Göttin Idun, die elf berühmte, goldene Äpfel verwahrte, die den Göttern ewige Jugend und Schönheit garantierten. Das erinnert auch irgendwie an die Äpfel der Hesperiden aus der griechischen Sage und an Evas Apfel, oder? Es sind anscheinend immer die Frauen, die das Monopol auf die Leben spendenden Äpfel haben.

Natürlich gibt es auch dazu eine Geschichte, in der der Tunichtgut Loki die Göttin samt ihren Äpfeln kidnappt und sie einem Riesen überlässt, um sein eigenes Leben zu retten. Doch die Asen verlangen von ihm, dass er Idun wieder zurückholt, damit sie weiterhin jung und schön bleiben können. Und so fliegt Loki im von Freya geliehenen Falkengewand, verfolgt vom Riesen in Adlergestalt und bringt Idun samt ihren Äpfeln wieder nach Asgard, wo der Adler erschlagen wird.

9.3.07

Thor oder Donar

Als ich klein war, noch bevor ich in die Schule kam, fürchtete ich mich sehr, wenn es gewitterte. Seltsamerweise hatte ich vor dem Donner mehr Angst als vor den Blitzen, egal, was meine Eltern mir darüber zu erklären versuchten. Jedes Mal, wenn es donnerte, meinte ich, den „lieben Gott“, wie ich ihn damals nannte, zu sehen, wie er schlecht gelaunt in einem Wagen mit hölzernen, eisenbeschlagenen Speichenrädern in rasendem Galopp über die Wolken polterte. So ähnlich rumpelten nämlich zu jener Zeit auch die Wagen der Bauern, die uns in jedem Herbst die Kartoffeln lieferten, über das Kopfsteinpflaster unserer Straße.

Und genau das gleiche wird in den Sagen von dem Gott Thor oder Donar, dem Donnerer berichtet. Seinen Wagen ziehen bei Gewitter zwei gewaltige Ziegenböcke über die Wolken, und mit seinem berühmten Hammer schleudert er die Blitze.

Die abenteuerlichen Geschichten, die über ihn berichtet werden, hören sich so an, als ob sie über Jahrhunderte hinweg von geltungssüchtigen Zechern bei wilden Gelagen weitererzählt worden sind. Jeder wollte dabei den anderen übertrumpfen, was die Stärke und die Heldenhaftigkeit ihres Gottes betraf. Vor allem die Story, als er mit einem Riesen beim Hochseeangeln war, liest sich wie das reinste Anglerlatein. Da fängt der Riese nämlich zwei Wale zum Abendessen, aber bei Thor muss es gleich die Midgardschlange sein, das größte Meeresungeheuer der damaligen Zeit, die er an der Angel hat.

Die Römer verglichen Thor denn auch mit ihrem Superhelden Herkules, als sie von ihm hörten. Als es jedoch darum ging, die Wochentage mit germanischen Namen zu versehen, entschieden sich die Germanen dafür, Thor mit dem römischen Obergott Jupiter gleichzusetzen. Also Donnerstag heißt es nun bei uns, so wie auf Französisch jeudi und auf Italienisch jovedi, welches beides von Jupiter herkommt.

Eigentlich ist Thor ja ein direkter Sohn der Erde selbst, der Erdgöttin Jord oder Fjorgyn (Eichengöttin), angeblich von Odin gezeugt. Sein Hammer ist nach Amstadt ursprünglich die von der Muttergottheit übernommene rituelle Doppelaxt. Von den nordischen Dichtern wurde er ansonsten etwas verächtlich ein Bauerngott genannt, im Gegensatz zu Odin, den sie mehr als ihresgleichen ansahen, und der als Forscher, Zauberer, Wissender und Visionär galt.

Die größte Ähnlichkeit mit heute bekannten Gestalten hat Donar/Thor meiner Auffassung nach mit Obelix aus den Asterix-Comics. Er ist genau so stark, genau so einfältig, rauflustig, verfressen, gutmütig, rotblond, asexuell und liebenswert wie dieser. Bloß statt des Hammers trägt Obelix immer einen Hinkelstein bei sich, den er gelegentlich aber auch erfolgreich als Wurfgeschoss einsetzt. Und Thor erinnert mich ferner an Bud Spencer in seinen frühen Filmen. Ein bärenstarker, polteriger, etwas begriffsstutziger und ziemlich sympathischer Beschützertyp auf der Seite der "Guten".

Bei Geismar, in der Nähe von Fritzlar/Hessen stand eine Rieseneiche, die Donar geweiht war. Diese fällte irgendwann im achten Jahrhundert der angelsächsische Missionar Winfried, genannt Bonifatius, dem unsere Stadt Fulda ihre Existenz verdankt und die im Gegenzug dafür seine Knochen im Dom aufbewahrt und jedem zeigt, der sie sehen will. Es ist überliefert, dass die Zuschauer bei jenem Ereignis auf ein himmlisches Strafgericht für den Frevler hofften und schwer beeindruckt waren, als dieses ausblieb.

Fast schade finde ich es mittlerweile, dass der Hügel bei unserem Dorf Wodansberg heißt und nicht Donnersberg oder so ähnlich.

6.3.07

Wyrd - ein Roman

Jetzt muss ich mal ein bisschen lästern.

In ihrem Buch über Seidr hatte Jenny Blain einen auf altenglischen Quellen basierenden Roman mit dem Titel „Wyrd – Der Weg eines Angelsächsischen Zauberers“ erwähnt, der besonders in England „einige Männer und Frauen“ beeinflusst hat, wie sie schrieb. Ich lese gern Romane, und wenn sie gut recherchiert und von Historikern geschrieben sind und ich aus ihnen geschichtliche Zusammenhänge erfahren kann, besonders gern.


Doch je länger ich las, umso bekannter kam mir die Geschichte vor. Da wird im späten 7. Jahrhundert ein junger Mönch und Schreiber in den heidnischen Süden Englands geschickt, um die Glaubensvorstellungen und Praktiken der Menschen dort für die Kirche auszuspionieren. Ein einheimischer Führer wird ihm zur Seite gestellt, der ein gewiefter Schamane ist, und ihn, wie weiland Don Juan seinen Carlos Castaneda, ordentlich an der Nase herum führt. Das Rätsel löste sich, als ich mir zwischendurch mal die Bibliografie am Ende anschaute. Brian Bates hat die Dramaturgie seiner Geschichte nämlich ziemlich genau bei Castaneda abgekupfert. Und seine Erläuterungen des Begriffs „Wyrd“ erinnern mich im Wortlaut zu sehr an das, was ich bei anderen Autoren über das Tao gelesen hatte.

Solche platten Kunstgriffe langweilen mich immer ganz fürchterlich, da finde ich den staubtrockenen Simek mit seiner wissenschaftlichen Abhandlung über die Götter und Kulte der Germanen wesentlich spannender zu lesen. Ich werde den Roman zu Ende lesen, aber nur quer.


Hoffentlich sind die „Töchter der Nibelungen“ von Diana Paxson, die ich mir auch bestellt habe, nicht ganz so banal (wie es der Titel vermuten lässt?).

Und irgendwann will ich dann auch mal wieder mit dem Runenlehrgang weitermachen und mit Thor oder Donar, dem Donnerer, der mir mittlerweile schon viel sympathischer geworden ist.