Vor einiger Zeit notierte ich, dass die Beschreibung der frühen Germanen mich sehr an die Berichte über die Amerikanischen Natives erinnerte. Bei Tacitus fand ich noch mehr dazu. Er schreibt: „Ihre Ungebundenheit hat eine üble Folge: sie finden sich nie gleichzeitig und nicht wie auf Befehl zur Versammlung ein; vielmehr gehen über dem Säumen der Eintreffenden zwei oder drei Tage verloren. Sobald es der Menge beliebt, nimmt man Platz,…“ Ähnliches las ich mal über das Zeitverständnis der Indianer. Es wurde von Seiten der Weißen beklagt, dass die Eingeborenen Verhandlungspartner bei Zusammenkünften mit den Vertretern der Amerikanischen Regierung öfters erst einige Tage nach dem anberaumten Termin eintrafen. Dafür brachten sie dann aber alle Zeit der Welt mit und konnten so lange bleiben, bis die Verhandlungen zu einem Ende gekommen waren.
Dann las ich etwas über das Deuten des Vogelflugs (wie bei den Etruskern!) und über das Pferdeorakel, welches als die sicherste Vorhersage galt. Die Pferde wurden vor heilige Wägen gespannt, und Priester und Stammesführer deuteten daraufhin ihr Wiehern und Schnauben. „… sich selbst halten sie nämlich nur für Diener der Götter, die Pferde hingegen für deren Vertraute.“

Die häufig von modernen Autoren geäußerte Vermutung, Tacitus hätte mit seinem Bericht über die Germanen seinen dekadenten Landsleuten einen Sittenspiegel vorhalten wollen, fand ich im Allgemeinen nicht bestätigt. Das kann allerhöchstens für die Darstellung des rigiden Umgangs mit Sexualität und Partnerschaft gelten. Aber darüber weiß ich selber zu wenig, als dass ich das wirklich beurteilen könnte. Vielleicht waren die Germanen ja wirklich so, möglicherweise auch im gewollten Gegensatz zu der fruchtbaren und sinnenfrohen Kultur, die vor ihnen existierte und deren Götter die Wanen gewesen waren.
Spielsucht: „Das Würfelspiel betreiben sie seltsamerweise in voller Nüchternheit [im Gegensatz zum üblichen Gezeche bei ihren Zusammenkünften], ganz wie ein ernsthaftes Geschäft; ihre Leidenschaft im Gewinnen und Verlieren ist so hemmungslos, dass sie, wenn sie alles verspielt haben, mit dem äußersten und letzten Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen. Der Verlierer begibt sich willig in die Knechtschaft, mag er auch jünger, mag er kräftiger sein, er lässt sich binden und verkaufen. So groß ist ihr Starrsinn an verkehrter Stelle; sie selbst reden von Treue. Sklaven, die sie auf diese Art gewonnen haben, veräußern sie weiter, um auch sich selbst von der Peinlichkeit des Sieges zu befreien.“
Hinweise auf matriarchale Relikte fand ich auch ein paar: „Die Söhne der Schwestern sind dem Oheim ebenso teuer wie ihrem Vater. Manche Stämme halten diese Blutsbande für heiliger noch und enger und geben ihnen den Vorzug,…“ Ebenso wie den Bericht über den Stamm der Astier (die Esten?), die an den östlichen Küsten der Ostsee siedelten:

Wie auch die „Fennen“ (Vorfahren der heutigen Finnen und/oder Samen?), von deren Stamm Tacitus nicht weiß, ob er ihn den Germanen zurechnen soll. Ihre Lebensweise beschreibt er als roh und dürftig. Auf mich wirkt sie eher wie eine nomadische Jäger- und Sammlerinnenkultur ohne feste Behausungen, Metallwaffen und Reitpferde.