28.3.07

Nibelungen und Langobarden

Diana Paxsons Roman über „Die Töchter der Nibelungen“ liest sich gar nicht mal so schlecht, wenn eine Fantasy mag. Die Handlung ist spannend beschrieben, und die Charaktere sind vielschichtig, so wie Menschen halt sind. Die eindeutig ‚Bösen’ und die immer ‚Guten’, so wie sie in den meisten Büchern und Filmen dargestellt werden, finde ich schnell öde, und die Handlung wird vorhersehbar. Ich mag es, wenn die Figuren beides in sich tragen, wenn sie um Entscheidungen ringen müssen, wenn sie das Gute wollen und das Böse tun und umgekehrt. Und die ganze Geschichte ist so unausweichlich und schicksalsschwer wie eine antike griechische Tragödie.

Am Ende jedes Teiles der Trilogie gibt es einige Seiten mit dem geschichtlichen Hintergrund und den wichtigsten Quellen, die die Autorin benutzt hat. Jetzt ist mir endlich klar geworden, dass Wodan, der Wanderer zwischen den Welten, ein Gott der Völkerwanderung war, ein Gott für heimatlose, entwurzelte Menschen, die generationenlang um ihre Existenz und einen Platz zum Leben kämpfen mussten. Tacitus und vor ihm schon Cäsar erwähnten zwar schon früher einen germanischen Merkur, der von späteren Mythenforschern mit Wodan identifiziert wurde (siehe hier), aber Wodans eigentlicher Name taucht erst viel später auf, nämlich in den Merseburger Zaubersprüchen. Zu der Zeit war das Christentum schon lange Staatsreligion im Römischen Reich und wenig später schrieb Mohammed den Koran.

Ein gutes Beispiel für die Annahme des Wodansglaubens sind die Langobarden, die am Ende des 4.Jahrhunderts als Winiler aus ihrem Heimatgebiet an der mittleren Elbe aufbrachen, geführt von einer Priesterfürstin namens Gambara (Stabträgerin) und ihren beiden Söhnen. Sie wanderten in einem großen ostwärtigen Bogen nach Süden, und kamen am Anfang des 6. Jahrhunderts in Norditalien an, und zwar dort, wo heute die Lombardei mit ihrem Namen immer noch an diesen Stamm erinnert.

Dazu gibt es eine kleine Geschichte, die erzählt, dass am Abend vor einer Entscheidungsschlacht gegen die Wandalen diese Wodan um den Sieg baten. Dessen Bescheid lautete, dass diejenige Kriegspartei, die am Morgen als erste auf dem Schlachtfeld auftauchen würde, den Sieg erringen sollte. Doch die Winiler baten ihrerseits die Göttin Frea um den Sieg, und diese riet ihnen, dass die Frauen ihre Haare unter dem Kinn so zusammenbinden sollten, dass sie wie lange Bärte aussahen. Und genauso sollten sie gemeinsam mit ihren Männern frühmorgens aufmarschieren. Als Wodan sie dann am nächsten Morgen so sah, schenkte er ihnen den Sieg und angeblich den neuen Namen gleich dazu. So wurden aus den Winilern die Langobarden (Langbart ist aber auch einer der vielen Namen Wodans).

22.3.07

Tyr und Idun

Der Gott Tyr/Tiwaz, Tiu, Zio/Ziu, der Dritte im Bunde der männlichen Asengötter und eigentlich der älteste von allen, ist vielleicht auch identisch mit Saxnot, dem die Sachsen bei ihrem Taufgelöbnis abschwören mussten. "Ec forsacho diabole end allum diobolgelde end allem dioboles wercumend worum. Thunor ende Woden end Saxnote ende allen then unholdo the hiro genotas sint." (Ich widersage allen Werken und Worten des Teufels. Thor, Wodan und Saxnot und allen Dämonen, die ihre Begleiter sind. Sächsischer Originaltext, 9. Jahrhundert, zitiert nach Jacob Grimm.)

Tyr ist ein indoeuropäischer Name und direkt verwandt mit dem griechischen 'Zeus', dem lateinischen 'Deus' und einem indischen Himmelsgott namens 'Dyaus Pitar'.
Ursprünglich auch ein Himmelsgott, zuständig für Recht und Gerichtsbarkeit wurde er später als Kriegsgott zum Kumpel und Blutsbruder der nordischen Götter und sogar zu Wodans Sohn degradiert. Da machen die Menschen kurzen Prozess mit ihren Göttern, grad wie es ihnen in den Kram passt. Die Römer setzten ihn mit ihrem Mars gleich, weswegen auch unser Dienstag (Tuesday, frz. Mardi) nach ihm benannt ist.

Er war der einzige, der es wagte, dem Fenriswolf seine rechte Hand als Pfand in den Rachen zu legen, während dieser an eine unzerreißbare Kette gelegt wurde. Als der Wolf den Betrug erkannte, biss er ihm die Hand ab.

Dann war da noch die Göttin Idun, die elf berühmte, goldene Äpfel verwahrte, die den Göttern ewige Jugend und Schönheit garantierten. Das erinnert auch irgendwie an die Äpfel der Hesperiden aus der griechischen Sage und an Evas Apfel, oder? Es sind anscheinend immer die Frauen, die das Monopol auf die Leben spendenden Äpfel haben.

Natürlich gibt es auch dazu eine Geschichte, in der der Tunichtgut Loki die Göttin samt ihren Äpfeln kidnappt und sie einem Riesen überlässt, um sein eigenes Leben zu retten. Doch die Asen verlangen von ihm, dass er Idun wieder zurückholt, damit sie weiterhin jung und schön bleiben können. Und so fliegt Loki im von Freya geliehenen Falkengewand, verfolgt vom Riesen in Adlergestalt und bringt Idun samt ihren Äpfeln wieder nach Asgard, wo der Adler erschlagen wird.

9.3.07

Thor oder Donar

Als ich klein war, noch bevor ich in die Schule kam, fürchtete ich mich sehr, wenn es gewitterte. Seltsamerweise hatte ich vor dem Donner mehr Angst als vor den Blitzen, egal, was meine Eltern mir darüber zu erklären versuchten. Jedes Mal, wenn es donnerte, meinte ich, den „lieben Gott“, wie ich ihn damals nannte, zu sehen, wie er schlecht gelaunt in einem Wagen mit hölzernen, eisenbeschlagenen Speichenrädern in rasendem Galopp über die Wolken polterte. So ähnlich rumpelten nämlich zu jener Zeit auch die Wagen der Bauern, die uns in jedem Herbst die Kartoffeln lieferten, über das Kopfsteinpflaster unserer Straße.

Und genau das gleiche wird in den Sagen von dem Gott Thor oder Donar, dem Donnerer berichtet. Seinen Wagen ziehen bei Gewitter zwei gewaltige Ziegenböcke über die Wolken, und mit seinem berühmten Hammer schleudert er die Blitze.

Die abenteuerlichen Geschichten, die über ihn berichtet werden, hören sich so an, als ob sie über Jahrhunderte hinweg von geltungssüchtigen Zechern bei wilden Gelagen weitererzählt worden sind. Jeder wollte dabei den anderen übertrumpfen, was die Stärke und die Heldenhaftigkeit ihres Gottes betraf. Vor allem die Story, als er mit einem Riesen beim Hochseeangeln war, liest sich wie das reinste Anglerlatein. Da fängt der Riese nämlich zwei Wale zum Abendessen, aber bei Thor muss es gleich die Midgardschlange sein, das größte Meeresungeheuer der damaligen Zeit, die er an der Angel hat.

Die Römer verglichen Thor denn auch mit ihrem Superhelden Herkules, als sie von ihm hörten. Als es jedoch darum ging, die Wochentage mit germanischen Namen zu versehen, entschieden sich die Germanen dafür, Thor mit dem römischen Obergott Jupiter gleichzusetzen. Also Donnerstag heißt es nun bei uns, so wie auf Französisch jeudi und auf Italienisch jovedi, welches beides von Jupiter herkommt.

Eigentlich ist Thor ja ein direkter Sohn der Erde selbst, der Erdgöttin Jord oder Fjorgyn (Eichengöttin), angeblich von Odin gezeugt. Sein Hammer ist nach Amstadt ursprünglich die von der Muttergottheit übernommene rituelle Doppelaxt. Von den nordischen Dichtern wurde er ansonsten etwas verächtlich ein Bauerngott genannt, im Gegensatz zu Odin, den sie mehr als ihresgleichen ansahen, und der als Forscher, Zauberer, Wissender und Visionär galt.

Die größte Ähnlichkeit mit heute bekannten Gestalten hat Donar/Thor meiner Auffassung nach mit Obelix aus den Asterix-Comics. Er ist genau so stark, genau so einfältig, rauflustig, verfressen, gutmütig, rotblond, asexuell und liebenswert wie dieser. Bloß statt des Hammers trägt Obelix immer einen Hinkelstein bei sich, den er gelegentlich aber auch erfolgreich als Wurfgeschoss einsetzt. Und Thor erinnert mich ferner an Bud Spencer in seinen frühen Filmen. Ein bärenstarker, polteriger, etwas begriffsstutziger und ziemlich sympathischer Beschützertyp auf der Seite der "Guten".

Bei Geismar, in der Nähe von Fritzlar/Hessen stand eine Rieseneiche, die Donar geweiht war. Diese fällte irgendwann im achten Jahrhundert der angelsächsische Missionar Winfried, genannt Bonifatius, dem unsere Stadt Fulda ihre Existenz verdankt und die im Gegenzug dafür seine Knochen im Dom aufbewahrt und jedem zeigt, der sie sehen will. Es ist überliefert, dass die Zuschauer bei jenem Ereignis auf ein himmlisches Strafgericht für den Frevler hofften und schwer beeindruckt waren, als dieses ausblieb.

Fast schade finde ich es mittlerweile, dass der Hügel bei unserem Dorf Wodansberg heißt und nicht Donnersberg oder so ähnlich.

6.3.07

Wyrd - ein Roman

Jetzt muss ich mal ein bisschen lästern.

In ihrem Buch über Seidr hatte Jenny Blain einen auf altenglischen Quellen basierenden Roman mit dem Titel „Wyrd – Der Weg eines Angelsächsischen Zauberers“ erwähnt, der besonders in England „einige Männer und Frauen“ beeinflusst hat, wie sie schrieb. Ich lese gern Romane, und wenn sie gut recherchiert und von Historikern geschrieben sind und ich aus ihnen geschichtliche Zusammenhänge erfahren kann, besonders gern.


Doch je länger ich las, umso bekannter kam mir die Geschichte vor. Da wird im späten 7. Jahrhundert ein junger Mönch und Schreiber in den heidnischen Süden Englands geschickt, um die Glaubensvorstellungen und Praktiken der Menschen dort für die Kirche auszuspionieren. Ein einheimischer Führer wird ihm zur Seite gestellt, der ein gewiefter Schamane ist, und ihn, wie weiland Don Juan seinen Carlos Castaneda, ordentlich an der Nase herum führt. Das Rätsel löste sich, als ich mir zwischendurch mal die Bibliografie am Ende anschaute. Brian Bates hat die Dramaturgie seiner Geschichte nämlich ziemlich genau bei Castaneda abgekupfert. Und seine Erläuterungen des Begriffs „Wyrd“ erinnern mich im Wortlaut zu sehr an das, was ich bei anderen Autoren über das Tao gelesen hatte.

Solche platten Kunstgriffe langweilen mich immer ganz fürchterlich, da finde ich den staubtrockenen Simek mit seiner wissenschaftlichen Abhandlung über die Götter und Kulte der Germanen wesentlich spannender zu lesen. Ich werde den Roman zu Ende lesen, aber nur quer.


Hoffentlich sind die „Töchter der Nibelungen“ von Diana Paxson, die ich mir auch bestellt habe, nicht ganz so banal (wie es der Titel vermuten lässt?).

Und irgendwann will ich dann auch mal wieder mit dem Runenlehrgang weitermachen und mit Thor oder Donar, dem Donnerer, der mir mittlerweile schon viel sympathischer geworden ist.

1.3.07

Tod, Frauen und die Erdgöttin

Über die Jenseitsvorstellungen und den Umgang mit dem Tod habe ich in dem Buch „Die Frau bei den Germanen“ von Jakob Amstadt etwas mehr erfahren können. Er schreibt, dass die Germanen den Menschen nicht in Leib und Seele einteilten, so wie es die Griechen schon in der Antike taten. Sie unterschieden nicht so klar zwischen Leben und Tod, wie wir heutigen Menschen. Der Tod schien ihnen nur eine Abwesenheit zu sein, von der man wiederkehren kann, so wie vielleicht der Großvater im Enkel wieder ins Leben zurückkehrt. „Für die Germanen lebte der Tote in einer anderen Dimension und zeigte dieses Dasein zu gewissen Zeiten und in bestimmten Formen seiner Existenz.“ Jetzt verstehe ich es besser, warum sie anscheinend so Todes verachtend waren.

Über die Frauen habe ich auch einiges erfahren, trotzdem wird mir ihre Stellung innerhalb der germanischen Gesellschaft nicht wirklich deutlich. Die Berichte reichen von Priesterinnen und Wahrsagerinnen, die bei den Wanderungen der Kimbern vorangingen und die Richtung bestimmten und die über den Zeitpunkt und den Ausgang von Schlachten weissagten, bis hin zu Frauen, die nach einem Ehebruch von ihren Männern ungestraft kahl geschoren, nackt durchs Dorf gepeitscht und ersäuft wurden. Die Spanne ist also breit.

Jedenfalls waren sie vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie saßen nicht mit im Thing, der Rats- und Gerichtsversammlung, und sie feierten und tranken auch nicht gemeinsam mit den Männern.

Über Frau Holle und Barbarossa im Kyffhäuser habe ich inzwischen auch etwas Neues gelesen. In Amstadts Buch wird über Funde berichtet, die belegen, dass die Höhlen im Kyffhäuser schon seit der Steinzeit der Kultplatz einer Göttin gewesen seien.


Anderswelt: Ich wollte dem Geist der Erde oder der Erdgöttin begegnen. Lange hatte ich diese Reise vor mir her geschoben, fürchtete mich etwas davor - zu Recht, wie sich herausstellen sollte. Zweimal hatte ich die Göttin schon in einer kurzen Halbtrance besucht. Beide Male machte sie mir in unmissverständlicher Weise klar, dass sie und ich wirklich eins sind.

Gestern rief ich endlich meine Verbündeten und flog mit ihnen zunächst eine Weile über den Globus dahin und dann in die Erde hinein. In einer unterirdischen Höhle legte ich mich wie ein Opfer nackt auf einen großen Steinquader. Warum ich das tat, weiß ich selber nicht, es war halt so. Die Göttin kam herbei und war ganz dunkel, schwarz-braunes langes Haar, dessen herabhängende Wellen an fruchtbare Ackerfurchen erinnerten. So hatte ich mir ungefähr die sumerische Totengöttin Ereshkigal vorgestellt. Sie hätte auch Nerthus sein können, Jörd, Hekate, Hel, die Morrigan. Ich wusste gleich, ich würde etwas hergeben müssen.

Und richtig, sie schnitt mir den Leib der Länge nach auf und entnahm daraus alles, die Eingeweide, die Knochen und den ganzen Rest. Stück für Stück warf sie das in eine Flammengrube neben dem Felsenaltar, bis nur noch meine Haut wie eine leere Hülle übrig blieb. Diese zog sie sich über und sah nun aus wie ich. Der Stein war leer, ich selber war nicht mehr da. Die Göttin begann zu tanzen, setzte ihre Füße präzise in einem unsichtbaren Muster auf und bewegte sich anmutig und gemessen durch den Raum, wobei sie sich auch um sich selber drehte. Ich erhielt die Botschaft: hör auf zu denken, dein Ich, d-ich gibt es nicht mehr, tanze!

Durch Bilder und Figuren, die sie mit ihrem Körper formte, wurde mir außerdem deutlich gemacht, dass die Pole männlich/weiblich, Konzentration/Ausdehnung, Monotheismus/Pantheismus von mir immer noch viel zu sehr in gut und schlecht eingeteilt werden. Sie zeigte mir, dass es sich damit eher wie beim Atmen verhält - ein/aus – oder wie die Ausdehnung und das wieder Zusammenziehen des ganzen Universums wie ein großer Atem. Beides gehört zusammen und ist die Bewegung des Lebens.

Ich war etwas panisch, weil ich die ganze Zeit nicht mehr vorhanden war und erwartete irgendwie, wieder zusammengesetzt zu werden. Stattdessen rief die Trommel zur Umkehr, und ich musste gehen. Beim Abschied rief mir die Göttin hinterher: „Komm wieder!“



Ich bin die Erde,
ein Stein und ein Baum.
Sterbe und werde
als wie im Traum.